Seit vorgestern ist er da, der Krieg in der Ukraine. Oder, wie es politisch korrekt heißt: der bewaffnete Konflikt. Schon vor ein paar Wochen kamen meine beiden großen Kinder aus der Schule nach Hause und hatten Fragen zu dem Thema. Aufgeschnappte Aussagen von MitschülerInnen, die sie nicht einordnen konnten. Die Angst machten. Von “Deutschland, das Russland provoziert” und von einem “Weltkrieg zwischen Deutschland und Russland” redeten die Zweit- und Drittklässler.

Als Erwachsene kann ich einordnen, dass da Kinder vermutlich Satzfetzen und Meinungen aufgeschnappt hatten, die sie ihren MitschülerInnen dann auch mitteilen mussten. Aber was macht das mit den Kindern? Wie redet man als Eltern mit Kindern über Krieg? Und ab welchem Alter?

Ich frage, sie antwortet: Psychotherapeutin Lena Kuhlmann

Das habe ich Psychotherapeutin Lena Kuhlmann gefragt. In ihrer eigenen Praxis ist sie spezialisiert auf Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie mit dem Schwerpunkt Tiefenpsychologie. Außerdem teilt Lena auf Instagram unter dem Namen @freudmich alltagstaugliche Tipps und Übungen, wie wir mit den großen und kleinen Herausforderungen des Lebens umgehen können. Sie hat gemeinsam mit Ein guter Plan das wirklich großartige Buch Eine gute Frage herausgebracht. Mit 100 therapeutisch fundierten Fragen soll es dabei helfen, sich besser kennenzulernen, Erkenntnisse zu gewinnen und Impulse für Veränderung zu geben.

Mit ihrem 2018 erschienenen Buch “Psyche? Hat doch jeder“, einem Spiegel Bestseller,schreibt Lena gegen die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen an, klärt auf und gibt einen Einblick in die Arbeit einer Psychotherapeutin.

Fotos: Claudia Simchen. 

Wie rede ich am besten mit Kindern über den Krieg, allgemein und aktuell in der Ukraine?

Liebe Lena, ich habe immer den Leitgedanken im Kopf: “Wenn Kinder Fragen zu einem Thema stellen können, sind sie auch alt genug, die Antwort zu hören.”. Natürlich kindgerecht formuliert, aber ehrlich. Kannst du da mitgehen, vor allem auch in einer Welt, in der Kinder durch eigene Tablets einen viel breiteren Zugang zu Themen haben als noch vor einigen Jahren?

Gerade dann finde ich es besonders wichtig, dass wir viel (mehr) mit Kindern sprechen. Auch, um herauszufinden, welche Gedanken sie sich gemacht haben, was sie bereits gehört und gesehen haben. Insbesondere kleinere Kinder verfügen über magisches Denken und haben vielleicht ganz verzogene Vorstellungen, mischen Realität und Magie. Und sie haben wahrscheinlich Ängste, die sie nicht mit sich alleine ausmachen sollten. Zusammenfassend: Wenn Kinder fragen, würde ich ihnen immer Antworten anbieten. Es ist ja auch eine schöne Erziehungshaltung, wenn man seinen Kindern zeigt: „Du kannst mich alles fragen, was dich gerade bewegt“. Darüber reden hilft! 

Speziell bezogen auf das Thema Krieg – wie bespreche ich das mit meinen Kindern so, dass sie einordnen können, was passiert, aber keine Angst bekommen? Und ab welchem Alter?

Wichtig ist zunächst eine angemessene Gesprächsatmosphäre, also nicht „zwischen Tür und Angel“. Ich würde empfehlen sehr auf die Gefühlsebene zu gehen und Kinder direkt zu fragen: “Wie gehts es dir damit? Macht dir das Angst?“. Dem diffusem Gefühl Worte zu geben, kann entlasten. Es ist wichtig, dass alle Gefühle Raum haben und dass Eltern Kindern eine Hilfe dabei sind, wenn diese die eigenen Gefühle nicht allein regulieren können. Ängste sollten immer ernst genommen und nicht abgetan werden („Da muss man aber keine Angst haben“). Ein bestimmtes Alter festzulegen ist schwer, weil Kinder unterschiedlich entwickelt sind. Die meisten Eltern können meiner Erfahrung nach selbst ganz gut einschätzen, wie weit ihr Kind gerade ist. 

Wie gehe ich damit um, wenn mein eigener Weltschmerz so groß ist, dass ich gar nichts erklären kann, ohne z.B. ständig zu weinen? Dürfen Kinder die Angst und Unsicherheit ihrer Eltern spüren?

Das finde ich eine unheimlich wichtige Frage. Denn natürlich leben Eltern Kindern vor, wie man mit Krisen umgehen kann. Sie sind also Modell  – auch für den Umgang mit negativen Gefühlen. Wenn Eltern Ängste oder Unsicherheiten vor Kindern verheimlichen, merken diese dennoch meist, dass irgendwas nicht stimmt. Das kann verunsichern. Und vielleicht speichern die Kinder ab: „Darüber sollte man lieber nicht mit anderen sprechen“. Ich empfehle offen zu kommunizieren. Dann lernen Kinder diesen Zustand zu benennen – das ist sehr wichtig für die eigenen Gefühlswelt. Die Chance dieser offenen Kommunikation besteht darin, dass Kinder sehen, wie Eltern mit ihren Ängsten umgehen und daraus lernen können. Das hilft ihnen für ihr ganzes Leben. Wenn Eltern selbst überfordert sind und grundsätzlich nicht so gut mit Ängsten umgehen können, wäre es eine Chance sich hier Hilfe zu holen – auch im Sinne der Entwicklung der Kinder. 

Was hältst du von der Taktik, Nachrichten komplett zu ignorieren, um sich selbst und möglicherweise auch die Kinder, vor zu viel negativen Meldungen zu schützen?

Ich glaube, dass man Kinder nicht komplett vom Weltgeschehen abschirmen kann, weil sie je nach Alter auch andere Informationskanäle haben. Demnach ist es besser mit den Kindern im Austausch zu bleiben und das Thema nicht komplett auszusparen. Wie bereits gesagt, ich denke Kinder spüren sehr gut, wenn die Eltern belastet sind. Wenn sie dann wissen um was es geht, haben sie immerhin Klarheit und die Möglichkeit ihre Bedenken zu verbalisieren. Trotzdem sollten Nachrichten nur gezielt geschaut und solide, altersgerechte Quellen gewählt werden. Nicht allein schauen lassen und nicht direkt vor dem Schlafen gehen. Man muss auch nicht täglich schauen und sollte einfach ein bisschen im Blick haben, wie die Kinder mit dem Thema umgehen. 

Wir gucken immer zusammen die Kindernachrichten LOGO, da sind aktuelle Informationen toll für Kinder aufbereitet. Gibt es aber vielleicht auch noch Bücher zum Thema Krieg, die du empfehlen kannst?

Gemeinsam kindgerechte Nachrichten schauen und diese zusammen besprechen finde ich eine gute Möglichkeit um mit Kindern über die aktuelle Situation zu sprechen. Eine andere gute Möglichkeit ist eine gemeinsame Tagesreflexion, in der die Kinder angeben, wie ihr Tag war und was sie gerade beschäftigt – so kann man ganz gut sehen, wie belastet das Kind durch die momentane Situation ist. Wenn das Kind sehr besorgt ist, kann man diesem Gefühl Raum geben, in dem man gemeinsam darüber schreibt oder malt. Bei Sorgen würde ich immer auch Kontakt zu ExpertInnen aufnehmen, die auch mit den Kindern arbeiten, wie ErzieherInnen oder LehrerInnen.

Andere Quellen: https://kinder.wdr.de/tv/neuneinhalb

Foto: Claudia Simchen. 

Vielen Dank für das kurzfristige Interview, liebe Lena!

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