In der Wohnung riecht es leise nach Zimt, als ich die Tür aufschließe. In meinen Augenringen spüre ich deutlich die 5 Bleche Muffins, die ich bis um 1:00 gebacken habe. Ich atme tief ein und greife nach der Tasse mit kaltem Kaffee, die auf der Ecke vom Schuhschrank steht. Ein letzter Schluck heißer Kaffee, bevor wir losgehen zur Kita. Und ein erster Schluck, wenn ich mit Ella wieder reinkomme. Kalt. Aber das macht nichts.
Wenig Schlaf, viele Termine
Um meine Hüfte baumelt die Manduca, ich bin für alles gewappnet. Bei jedem Schritt schwingen die Bänder und Schultergurte hin und her, Ella schläft im Kinderwagen. Vor und zurück, vor und zurück, bloß nicht aufwachen. Obwohl ich sie viel lieber dicht bei mir hätte, tut meinem Rücken die Entlastung durch den Kinderwagen gut.
Mein Blick fällt in den Spiegel. Ungeschminkt, aber immerhin abgeschminkt. Meine Mütze auf den nassen Haaren, für Shampoo hat es nicht mehr gereicht, bevor Babygeschrei mich aus der Dusche geholt hat. Fürs Rasieren auch nicht, immerhin bin ich gewaschen.
Vor und zurück, vor und zurück. Ich stehe im Flur, das Laptop auf dem Schuhschrank. Optimale Stehtischhöhe. Die Zeit zerrinnt, in 50 Minuten muss ich aus der Tür. Nach neun Wochen habe ich es geschafft, auch mal für mich einen Termin zur Nachsorge bei meiner Gynäkologin in den Terminplan zu quetschen. Rückbildung? Haha. Ha. Ha. Obwohl – immerhin einen Flyer “Schwangerschaft und Rückbildung” habe ich gestern schnell eingesteckt, als ich die Kinder vom Turnen abgeholt habe.
Prioritäten, Baby!
Noch habe ich mich nicht entschieden, welche Prioritäten ich setze, bevor wir uns wieder auf den Weg machen müssen. Haare doch noch mit Shampoo waschen? Oder den ganzen Tag mit Mütze? Schminken? Lieber erstmal noch eine Tasse Kaffee.
Vom Flur sehe ich einen Teil des Wohnzimmers. Meine feuchten Handtücher liegen auf dem Boden, genau dort, wo ich sie fallen lassen habe, um brüllenden Hunger zu stillen. “Ich könnte sie einfach aufheben, ins Bad bringen, über die Heizung hängen…” denke ich, während meine Augenlieder noch ein bisschen weiter Richtung unterem Wimpernkranz sinken.
Kaffee, also erstmal Kaffee. Und ein großes Glas kaltes Wasser.
Meine Hose kneift und ich bin genervt. Bei manchen Blicken in den Spiegel denke ich: Joa, nicht schlecht, hast schon schlimmer ausgehen. Meine Klamotten aber fühlen sich nicht so an. Eigentlich bin ich damit im Reinen, heute morgen, nach 5 Stunden Schlaf mit Stillunterbrechungen – irgendwie nicht. Ich schmeiße mich in eine meiner Schwangerschaftshosen und fühle mich… gemütlich.
Gemütlich kann ich allerdings gerade nicht gebrauchen, jetzt sind es nur noch 39 Minuten, bis wir wieder losmüssen. Geschafft? Bisher nix.
Hier mal schnell und da mal schnell
Also los, aufraffen. Auf dem Weg ins Bad nehme ich die Handtücher mit, stecke schonmal meinen Mutterpass in die Tasche, fülle Windeln und Wechselsachen für unterwegs nach und hänge das Fußballtrikot mit auf die Heizung. Damit es nachher zum Fußballtraining auf jeden Fall trocken ist.
Während das Wasser über meine Haare läuft und in meinen Ohren rauscht, habe ich Angst, Ella nicht zu hören, wenn sie weint. Ja, so bin ich eben. Ich mache mir Gedanken, manchmal zu viele, aber immerhin besser als keine.
Handtuch um die Haare, alles ist still. Still? Wieso still? Der Kaffee sollte doch schon brodeln? Check in der Küche, klar, ist nix mit brodelndem Kaffee, wenn der Herd nicht an ist.
Nix zum Anziehen…
Die gemütliche Hose fühlt sich auch komisch an, wir werden heute keine Freunde mehr. Was sag ich, nicht nur heute. Sie kommt auf den Stapel “zu verkaufen” und ich verschwende wertvolle Minuten mit der Überlegung, was ich anziehen soll. Die (zu) enge Hose? Latzhose? Ist irgendwie doof bei der Gynäkologin. Alle Röcke sind mir zu kalt, also die enge Hose. “Vielleicht verkneife ich mir dann auch meine halbe Tafel Schokolade.” denke ich und weiß jetzt schon, dass das nicht stimmt.
Ella regt sich, kurze Stillpause und verliebtes Babykuscheln. Wenn ich den richtigen Moment abgepasst habe, wird sie trinken und wieder einschlafen. Dann zurück in den Kinderwagen und ich könnte weitermachen. Best case. Worst case: trinken, weinen und von Hacken bis Nacken durchkacken. Bei dem Gedanken daran in Zusammenhang mit meinem schmelzenden Zeitkontingent treten mir die Schweißperlen auf die Stirn.
Aber – Glück gehabt. Satt schlummert sie wieder ein, Hacken bis Nacken kommt wahrscheinlich erst nachher im Wartezimmer. Egal, nicht dran denken, im Moment leben und im Moment ist erstmal – alles gut. Baby zurück in den Kinderwagen – immer noch alles gut.
5 Minuten “Mama Make Up Routine”
Zehn Minuten habe ich noch. Das heißt, ein schnelles Make Up ist noch drin. Was heißt schnell – es ist das einzige Make Up, das ich kann. Und da ich für meine morgendliche “Mama Make Up Routine” (das wollte ich schon immer mal schreiben) nur 5 Minuten brauche, passt das. Fünf Minuten, ernsthaft. Vor kurzem mit dem Timer gestoppt, weil André immer zu mir sagt: “Alle warten nur auf dich, immer brauchst du ne Stunde im Bad, um dich fertig zu machen!”
Seitdem kann ich, wenn er mit Augenrollen auf mein “Ich muss mich nur noch schnell schminken” reagiert, mit hochgezogenen Augenbrauen triumphierend lächelnd auf meine imaginäre Uhr tippen und sagen: “5 Minuten!”.
Einen Hauch getönte Tagescreme (oder Foundation), Concealer, Mascara*(Affiliate Links), Glow, Augenbrauengel und besagte 5 Minuten später bin ich so weit. Quasi. Schnell noch Kaffee, ein Käsebrot. Und eine Flasche Wasser. Der Stillhunger kommt plötzlich und er kommt gewaltig.
Leise sprinte ich in die Küche (ja, das kann ich). Schnell den Kaffee aufsetzen, zum Mitnehmen. Ohne Kaffee geht nix. Ich klatsche Butter und eine Scheibe Käse zwischen zwei Scheiben Brot. Eine Hälfte in die Brotdose, die andere esse ich, während ich meine Wasserflasche fülle.
Schnell los
Leise zurück zum Kinderwagen, der immer noch an der Wohnungstür neben dem zum Steharbeitsplatz umfunktionierten Schuhschrank steht. Proviant in die Tasche und kurzer Check, ob ich alles habe. Schnell die Schuhe anziehen, dank Käsebrot hänge ich meinem Zeitplan acht Minuten hinterher. So langsam werde ich etwas hektisch und natürlich, was passiert? Nein, zum Glück nicht Hacken bis Nacken, aber Ella weint.
Wechsel vom Kinderwagen in die Manduca, Rücken und Schultern hatten lange genug Pause. Zum Glück schläft sie gleich weiter und wir können los. Ein letzter Blick in den Spiegel, ich merke, dass ich immer noch das Handtuch vom Haare waschen um den Kopf geschlungen habe. Runter damit, die nassen Haare etwas entdröseln, trocknen können sie an der Luft, es ist schon warm draußen. Ein wirklich allerletzter Check im Spiegel, jetzt müssen wir uns sputen. Auf dem Weg nach draußen fällt mein Blick auf meine Hand am Kinderwagengriff und ich frage mich, ob draußen jemand denkt:
“Na wenigstens die Nägel hätte sie mal ordentlich lackieren können…”?
Die Tür kracht mit Schwung laut ins Schloss. Während wir auf den Fahrstuhl warten, schließe ich kurz die Augen, atme tief ein und rieche – Kaffee und Zimt.
21 Comments
So ehrlich und authentisch beschrieben – danke.
Unsere Tochter kam vor sieben Wochen auf die Welt und ich finde mich absolut in deinem Text wieder. Aktuell schläft sie und ich habe mir die Freiheit genommen auf deinem Blog zu lesen und schöne Bilder zu betrachten, statt Wäsche zu falten etc..
Dir und deiner Familie weiterhin alles Gute, Kraft und Nerven.
Viele Grüße vom Bodensee,
Steffi
Liebe Steffi,
ach wie schön, herzlichen Glückwunsch! Und du machst das ganz richtig! Nicht nur, weil ich mich natürlich freue, dass du hier bist und auch noch kommentierst <3, sondern vor allem, weil es so wichtig ist, sich Zeit für sich zu nehmen. Nicht immer nur zu hetzen und zu machen, zu müssen und so.
Einfach mal auch was schönes machen während das Baby schläft. Alles alles Liebe für euch,
Johanna
Ach, das hast du so gut beschrieben! Wahnsinn! Ich kann es supergut nachfühlen und kenne das auch noch, obwohl ich nur eine Tochter habe und die mittlerweile 3 Jahre alt ist. Aber dieses “losgehen” ist nach wie vor ein echter Staatsakt! :D
Liebe Michi,
ganz lieben Dank! Ja, bei uns ist das auch mit den “Großen” noch so. Ob das irgendwann besser wird? Ganz liebe Grüße,
Johanna
Haha, bei mir sieht die Wohnung auch ohne Kinder manchmal aus wie sau, wenn ich gehe. Und oft bin ich so knapp dran, dass ich auch nur halb fertig bin. Wie das erst mit Kindern werden soll, darüber denke ich besser nicht nach. *chaosqueen*
Danke für so viel Ehrlichkeit! Ich kenn das alles so gut mit meinen acht Monate alten Zwillingen! Besonders dieses Hadern mit Aussehen und Gewicht! Und gefühlt sind alle anderen Mamis schon wieder ganz schlank und sehen immer perfekt aus! Wie machen die das, frag ich mich da… haben die Kindermädchen, Großeltern etc, die ständig helfen, damit sie zum Sport und zur Maniküre gehen können oder einfach mehr Disziplin?
“Vom Hacken bis zum Nacken”…. hab icj gerade gelacht! Danke für den unterhaltsamen Text. Bei uns heißt das Kackagedon! Ganz liebe Grüße Kerstin
Soooo gut geschrieben. Da kann ich direkt wieder mitfühlen, obwohl das bei mir schon einige Jahre her ist. Was nimmt man nicht alles auf sich…
Ich schicke Dir Energie!
LG
Liebe Johanna..danke für deinen wirklich schönen ehrlichen Text! Er spricht jeder Mama aus der Seele!?
Liebe Johanna, ich möchte dir auch einmal danken. Für diesen besonderen Text, für viele, die ich schon unkommentiert gelesen habe und für hoffentlich noch mehr, die da kommen. Ich pule mich jetzt, um halb zehn Uhr abends, mal wieder aus unserem Familienvater, wo meine zwei kleinen Mädchen schlafen, mache die Wäsche und den Abwasch. Und esse Schokolade! Da freue ich mich schon den ganzen Abend drauf.
Ich meinte natürlich Familienbett!!!
Hier auch sieben Wochen alt mit zwei kleinen großen Geschwistern (2+4Jahre) und ganz ehrlich.?!
Alles ganz genauso! Hab mich in jedem Wort wieder erkannt!! Es ist manchmal so furchtbar und schön und irgendwie gleichzeitig und Ach argh zum Ausflippen, aber auf eine schön schräge Art, weil jede Situation die man TROTZDEM oder gerade DESWEGEN meistert macht es ja so vollständig.
Schöner Text, danke fürs Tippen und immerhin hattest du in den letzten Tagen oder Wochen schonmal Zeit für deine Nägel ;-) ich freu mich schon wenn ich es mal schaffe und dann… Dann lass ich den auch drauf so lange es nur irgendwie geht. Liebe grüße, Anna
Liebe Johanna,
ich bin seit langem eine stille Leserin deines Blogs. Ich habe zu später Stund nochmal vorbeigeschaut, um mit einer kleinen Aufmunterung einzuschlafen und ich hatte solch ein Glück. Ich glaube, das ist der für mich mit Abstand schönste Text von dir. Mein Sohn hat sich vorhin ordentlich übergeben, natürlich mehrmals, im Auto, ins Bett, auf dem Sofa … und die 3. Waschmaschine läuft, aber nun werde auch ich mit Kaffee und Zimt in der Nase einschlafen :) So authentisch, so detailverliebt und ehrlich. Ich spüre den Zeitstress und dann auch die große Erleichterung, der erste Schritt ist geschafft, raus aus der Tür und sogar mit Kaffee dabei, besser geht es nicht ;)
Danke Dir für deine tolle Arbeit und dein Teilhaben-lassen an eurem normalen und deshalb so schönen Leben!
Katharina
Liebe Johanna, du hast einen meiner Tage beschrieben. Nur das meine Ella “erst” sieben Wochen alt ist und Nick heißt ? Schön zu lesen, dass es anderen genau so geht.
Liebe Johanna, ganz kurz aus der Mittagspause mit Pizza neben den Tasten: Mir würde das alles genau so gehen, wenn ich wieder Elternzeit hätte.
In der ersten haben mich übrigens DEINE Overnight-Oats gerettet. Die habe ich Abends in den Kühlschrank gestellt und DER MANN hat sie mir morgens in einer Schüssel in die Küche gestellt. Damit hatte ich schon mal 2 Stressfaktoren beseitigt und die Verantwortung abgegeben. Scheiß auf die Matscheoptik. Außerdem hat geholfen: Doppelte Mengen Essen kochen/ bestellen, damit man Reste entweder einfrieren oder am nächsten Tag aufwärmen kann (spart die permanente Überlegung, was man denn heute alles einarmig kochen könnte) und Käsebrot MORGENS VOM MANN geschmiert für den Tag schon mal auf einem Teller. Ich weiß, bei euch ist Schichtsystem, aber vielleicht hilfts ja dennoch. Ich weiß, du willst keine Tipps haben, aber da DEINE vor fast 4 Jahren völlig essentiell für mich waren, gebe ich mein Bestes und die Tipps zurück ;) :*
Ach, was ein schönes Artikel, liebe Johanna. Und er spricht mir, wie so vielen Mamas, aus dem Herzen. Meine Zwillingen sind schon 1,5, aber genau, das gleiche Gefühl habe ich morgens, bevor wir alle aus dem Haus gehen zu Arbeit und Kita. Das 5-Minuten-Make-Up ist klasse und bei mir so ähnluich und jede Sekunde wert – aber auch nicht mehr. Liebe Grüße, Barbara
Liebe Johanna,
was für ein toller Artikel, ich sitze mit heißem Tee am ungesäuberten Esstisch, draussen regnet es und es irgendwie habe ich es total genossen deine Zeilen zu lesen, so ehrlich, so detailliert, dass man es sich bildlich vorstellen kann. Danke dafür und alles Liebe für euch !
Liebe Johanna,
eigentlich bin ich gar nicht der Typ der regelmäßig Blogs liest und es passt jetzt auch vielleicht nicht ganz zu deinem Beitrag aber wollte es dennoch hier los werden.
Als ich dich per Zufall bei Insta entdeckt habe bin ich auch auf deiner Homepage gelandet.
Mittlerweile schaue ich Täglich vorbei in der Hoffnung das es was neues zu lesen gibt ;)
In manchen deiner Worte findet man sich immer selbst wieder. Und man lacht und fühlt oft mit.
Meine 2 Jungs sind zwar schon etwas älter (10 und 13) und wir haben einiges schon hinter uns dennoch kann ich manches sehr gut nachvollziehen.
Auch jetzt wo Bo mit dem Fußball anfängt musste ich innerlich schmunzeln.
Kleiner Tipp demnächst warm anziehen auf Fußballplätzen kann es A….Kalt werden ;D
Liebe Grüße
Ich weiß gar nicht warum, aber irgendwie habe ich erst jetzt diesen Artikel gelesen. Und ich muss dir schreiben. Ich finde dich so großartig( obwohl ich dich nicht kenne;-) ich lese etliche Blogs,abends vorm schlafengehen, eine Stunde Internet. Und mit einer anderen Ausnahme bist du wirklich die einzige, bei der ich das Gefühl habe-ja,das ist authentisch! Nix verschönt,nicht permanent Bilder vom anderen Ende der Welt, keine auf Hochglanz polierte Küche-einfach Alltag. Mit allen Höhen und Tiefen. Und genau das ist sooo toll. Man erkennt sich und seinen eigenen Alltag wieder, fühlt mit dir, fühlt sich verstanden und oft hat man dabei noch richtig was zu lachen. Du bist toll! Danke
Liebe Johanna,
unser Großer ist so alt wie Ella und schon damals habe ich diesen Text geliebt. Und auch bei unserem zweiten finde ich mich und uns in so vielem wieder, weshalb der Text seit Monaten wieder als Tab fest offen ist. Zum Schnuppern an den wild-verrückten Tagen. Hab vielen Dank für diese Art von Texten.
Herzliche Grüße, Anne
Liebe Anne,
oh! Was für ein wundervolles Kompliment, darüber freue ich mich wirklich wahnsinnig. Ich muss den Text auch gleich noch mal lesen. Und ich hoffe, dass ich wieder öfter solche Texte schreiben kann in Zukunft. Alles Liebe, Johanna