Mit meinem Baby im Arm stehe ich im Wohnzimmer, wir schaukeln sanft hin und her. Ella liegt warm und weich in meinen Armen, sie schläft und atmet ruhig. Ich habe keine Hand frei, kann nichts machen, mich einfach nur hin und her wiegen. Beobachten. Ich lausche ihrem Atem, lege meine Wange auf ihren Kopf und genieße. Wie weich ihre Haare sind. Das Gefühl, dass sich in meinem Körper ausbreitet in diesem Moment.
Nur wir zwei, in einer vollkommen stillen Wohnung. Nichts anderes möchte ich machen in diesem Moment, nichts. Ich drehe mich langsam um die eigene Achse und lasse meinen Blick durch die Zimmer streifen. Unser langer Esstisch, die linke Seite ist sauber und aufgeräumt, nur mein Laptop, eine Tasse Kaffee und ein Becher mit Tee stehen bereit. Rechts mein Chaos. Zettel, Klebeband, Bücher, Post, Zeitschriften, meine Blumenpresse, das Kinderwagen-Netz und meine Kamera.
Chaoshäufchen
Das Chaos geht weiter, überall liegen kleine oder größere Chaoshäufchen. Auf der Fensterbank, auf dem kleinen Schrank mit dem Geschenkpapier, unter Andrés Schreibtisch. Kabelsalatchaos.
Normalerweise stresst Chaos mich. Obwohl, oder vielleicht gerade weil ich ein chaotischer Mensch bin, stresst das Chaos mich. Es hetzt mich. Weil jeder Stapel mich anbrüllt:
“Du bist noch nicht fertig, hier ist noch was zu tun!”
Das schnürt mir die Brust und die Kehle zu, es lähmt mich. Es macht mir Chaos im Kopf. Noch mehr, seit wir zu fünft sind. Seitdem habe ich das Gefühl, dass wir Ordnung brauchen. Struktur. Routinen. Weniger Zeug, damit erst gar kein Chaos aufkommt. Damit ich mehr Kapazitäten für Gefühlschaos und das Familienmobilé habe.
Und während ich zwischen den Zimmern in der Mitte der Schiebetür stehe, mich drehe und meinen Blick schweifen lasse, muss ich unwillkürlich lächeln. Da ist es wieder. Das Gefühl, angekommen zu sein. Ich kann liebevoll auf die Chaoshäufchen blicken, ich kann sie annehmen, ohne mich so unglaublich gehetzt zu fühlen. Vielleicht, weil ich tatsächlich seit Wochen immer wieder ausmiste, verkaufe, verschenke, wegschmeiße, was nicht mehr zu gebrauchen ist. Es macht mich frei und jedes Stück mehr Ordnung bringt mich ein bisschen mehr vom Äußeren zum Inneren.
Schief, schiefer, wir
Dabei kann ich nicht sagen, dass es hier reibungslos läuft. Ehrlich gesagt läuft es immer noch so schlimm wie nie. Wir holpern und stolpern durch unsere Tage, durch die Abende. Unser Mobilé hängt immer noch ziemlich schief. Und manchmal, manchmal habe ich das Gefühl, es kracht jeden Moment runter und zerspringt in tausend Teile. Wenn die Wut groß ist, das Geschrei laut und keiner den anderen wirklich hört.
Wenn wir uns so hilflos fühlen, dass wir uns angucken und nur noch mit den Schultern zucken. Wenn der eine sagt: “Das kann doch nicht wahr sein. Ich glaube, wir haben uns übernommen, mit drei Kindern.”
Solche Momente sind hart, richtig hart. Sie sind beschissen. Es gibt sie und ich glaube, es gibt sie in jeder Familie. Die Momente, in der man fliehen möchte und sich so weit es geht weg wünscht von den Menschen, die Familie sind.
Schief – und doch…
Aber, jetzt, nach zwölf Wochen zu fünft, gibt es eben auch wieder andere Momente. Momente, in denen das Mobilé gerade hängt und fröhlich, sanft und leise schwingt. In denen es läuft. Selbst in Momenten, in denen es schwierig und stressig ist.
Vielleicht macht es die Kombi, vielleicht, dass wir als Eltern immer noch versuchen, auch uns Erwachsene mit bedürfnisorientierten Augen zu sehen und danach zu handeln. Das klappt nicht immer, by the way, aber immer öfter. Ich weiß nicht, wo das Gefühl herkommt und was genau dazu beigetragen hat – aber zum allerersten Mal in meinem Leben fühle ich, dass ich angekommen bin. Nicht dauerhaft, aber immer mal wieder.
Ja, ich habe (zu) wenig Zeit zum Arbeiten. Ja, es gibt hier immer noch viel Ärger und Unstimmigkeiten, das Gefühl, nicht verstanden zu werden, Hilflosigkeit, Wut, Tränen, Trauer. Aber selbst nach einem wirklich schlimmen Morgen vor kurzem hatte ich dieses Gefühl. Mit Ella im Kinderwagen, über den holprigen Weg vom Spielplatz nach Hause, mit Sonne im Gesicht, war es plötzlich da. Ein Gefühl, das ich noch niemals so empfunden hatte und trotzdem sofort zuordnen konnte.
6 Comments
Liebe Johanna,
ich freue mich für dich, dass du dieses Gefühl hast. Ich glaube, wenn man weiß, wo man hingehört, gibt das einem nochmal eine Extraschippe Kraft. :-)
Mach weiter so, auch mit dem Beseitigen des Chaos. :-) Der Rest wird sich auch noch fügen.
Liebe Grüße!
Danke, dass du mich/uns mit durch dieses schöne und anstrengende Chaos nimmst. Es lässt mich realistisch und ein wenig gelassener in unsere Zukunft zu viert blicken ;)
Puh, da hab ich doch gleichzeitig Pippi inne Augen und Gänsehaut. So schön geschrieben! In meinem Leben stehen auch grad Veränderungen an – und ich hoffe, dass sich das “Ankommen”-Gefühl auch wieder seinen Weg sucht zu uns!
So schön geschrieben! Ach hab ich ja schon gesagt – egal, stimmt auch doppelt!!!
Wie toll geschrieben… Genau das gleiche Gefühl habe ich zur Zeit zu viert – unsere zweite Tochter ist zwei Wochen jünger als Ella. Ich fühle mich angekommen, mehr denn je.
P. S. Ich mag sehr sehr sehr, dass Du so authentisch bist!
Sehr schöner Text. Nach nur 12 Wochen ist doch Chaos noch normal oder!? ?
Könntest du nicht eine kleine Arbeitspause einlegen oder ist das nicht so einfach als Blogger?
Ich finde drei Kinder zu haben ist richtig toll und bestimmt eine große Herausforderung!
Und ich finde die Kombination aus “angekommen sein ” und Chaotisch klingt richtig gut und sympathisch. ??
Liebe Johanna, ich mag deine Texte und die ehrliche sympathische Art zu schreiben. Wir sind seit 7 Wochen zu fünft – und da empfinde ich deinen Text umso aufbauender ?
Liebe Grüße Marleen