Pflegenotstand, unhaltbare Zustände in den Kliniken und noch düsterere Aussichten für die Zukunft. Warum ich mich trotzdem entschieden habe, es nochmal in der Pflege zu versuchen.

“Viele KollegInnen verlassen die Pflege, sie wollen zurück. Warum?”

Diese logische Frage stellte mir die Pflegedienstleitung bei meinem Bewerbungsgespräch Ende März. Mit Kopfschmerzen vom frühen Aufstehen und dem ganzen Input des Frühdienstes auf der Wochenstation, der hinter mir lag, antwortete ich wahrheitsgemäß und einfach drauf los:

“Ich hab einfach Lust drauf, die Medizin hat mich nie ganz losgelassen und mein Bauchgefühl sagt mir, dass das gerade genau das richtige für mich ist. Außerdem bin ich in meinem aktuellen Job nicht glücklich. Nach 11 Jahren Selbstständigkeit brauche ich neuen Input und ich wünsche mir, wieder im Team zu arbeiten.”

Im UKE, der Klinik, in der ich anfange, habe ich mich aus mehreren Gründen beworben: die freie Stelle auf der Wochenbettstation, die mir wie ein Glückscent auf der Straße zufällig “vor die Füße gefallen ist”. Ich hab nach etwas anderem gesucht und die freie Stelle gefunden. Oder sie mich, wer weiß das schon. Dadurch, dass ich mein FSJ vor 19 Jahren im Bethanien Krankenhaus, das früher in direkter Nachbarschaft zum UKE stand, gemacht habe, habe ich mich der Uniklinik immer schon verbunden gefühlt. Sie war schließlich lange Zeit mein Ziel. Beziehungsweise nicht sie, sondern das Medizinstudium. Die Nähe zu unserer Wohnung und das Arbeitszeitkonzept, mit dem das UKE für familienfreundliche Arbeitszeiten wirbt.

Ein FSJ, eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin, ein paar Jahre in der Notaufnahme, 3 Semester Medizinstudium, 11 Jahre Selbstständigkeit und 3 Kinder später – stehe ich also hier. Links und rechts von mir Bücher über Wochenbettpflege, Englisch for Nurses and Midwives und der Klinikleitfaden Kinderkrankenpflege. Übermorgen gehts los.

Zurück in die Pflege

Damit gebe ich viele Freiheiten auf, die ich mir durch die Selbstständigkeit erarbeitet habe und die ersten zwei Monate werden sicherlich besonders hart – im Juni und Juli bin ich fast Vollzeit geplant für die Einarbeitung, 3 Wochen davon sind auch noch Sommerferien. Je näher mein erster Tag rückt, desto aufgeregter werde ich. Vorfreude, Unsicherheit, Zweifel, leuchtende Augen, Übelkeit, all das prallt gerade aufeinander. Ich frage mich, ob nochmal so viel neues lernen kann, mich schnell genug in ein komplett neues Fachgebiet einarbeiten kann. Ob ich dem Druck einer Uniklinik gewachsen bin, dem Tempo und meinen eigenen Ansprüchen. Wie das für die Kinder wird, ob wir die Betreuung geregelt und ob wir nach den ersten drei holprigen Monaten die Planung so hinkriegen, dass es nicht jeden Monat finanziellen Verlust für uns bedeutet. Momentan kann durch unsere spezielle Kombination nämlich immer nur einer von uns arbeiten und weil André für diese ersten Monate extrem zurücksteckt, er aber als Honorararzt so viel mehr verdient als ich, werden wir am Ende der Einarbeitungszeit ein fettes Minus auf dem Konto haben.

Trotzdem. Ich bin so überzeugt davon, dass es der richtig Weg ist, es zumindest zu probieren. Mein Motto, das sich durch mein Leben zieht. Besser probieren und merken, dass es nicht passt als sich immer zu fragen, was wäre gewesen wenn. Diesen Mut, Neuanfänge zu wagen, sehe ich mittlerweile als Stärke. Statt mich für meinen kurvigen Lebenslauf voller Abzweigungen zu schämen.

Das Beste aus zwei Welten

Ich nehme das Beste mit aus der Welt der Influencerin und Bloggerin – die Nähe, den Kontakt und Austausch mit Frauen, die Geburten erlebt und auf Wochenbettstationen gelegen haben. Höre ihre Wünsche und hoffe, dass ich den Klinikbetrieb damit ein bisschen bereichern kann. Kombiniert mit meiner eigenen Erfahrung als Mutter und dem unbedingten Willen, fachlich kompetent, emphatisch und offen Mütter, Babys und PartnerInnen in ihren ersten Stunden und Tagen zu begleiten.

Weil ich fest daran glaube, dass diese grundlegend und richtungsweisend sein können für so vieles. Für das Selbstverständnis und Selbstbewusstsein als Mutter, eine gute Stillbeziehung oder das Gefühl, in eigenen Entscheidungen respektiert statt bevormundet zu werden. Für einen wachen Blick der PartnerInnen darauf, wie es der Mutter geht.

Übermorgen gehts los. Das Feedback ist fast überwiegend positiv. Dennoch. In manchen Momenten frage ich mich, ob ich eigentlich verrückt bin, wieder zurück in die Pflege zu gehen. Ein Bereich, in den ich nie wollte, der mir aber, als ich drin war, unerwartet viel Spaß gemacht hat. Vielleicht wäre ich geblieben, wenn die Bedingungen besser gewesen oder geworden wären. Nach 11 Jahren Klinik-Pause habe ich meine Akkus geladen und bin wieder voller Pläne und Hoffnung, dass das gut werden kann.

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13 Comments

  1. Antonia Hoffmann Reply

    Mut wird immer belohnt. Hab einen guten Start. Das wird gut 💪🏻

  2. Was für eine schöne Einstellung. Ich bin so gespannt was du erzählst. Eine solche Pflege hätte ich mir so gewünscht als ich vor 18 Jahren mein erstes Kind auf die Welt brachte. Deinen Wunsch nach lernen kann ich momentan so gut verstehen. Ist bei mir auch so. Ist doch ein tolles Gefühl ein neues Kapitel aufzuschlagen. Danke fürs teilen deiner Gedanken, Ängste, Freude und all den anderen Emotionen.

  3. Mut wird belohnt, es ist großartig, das du es versuchst! Ich drücke dir ganz fest die Daumen, deine kleinen und großen Patienten sind sicherlich sehr glücklich, dass du sie begleitest! Liebe Grüße und einen guten Start!!

  4. … zurück ins Team, ich kann’s verstehen❤️ Alles Liebe für den Neustart🌈

  5. Ach Johanna! Ich habe es geliebt diesen Beitrag zu lesen und wünsche dir – von ganzem Herzen – alles, alles Liebe auf deinem neuen alten Weg! Du rockst das!

  6. Toi toi toi für diesen nächsten Schritt in Deinem Leben! Du schaffst das.
    Und denke dran: Alles ist schwer, bevor es leicht ist

  7. Ich find’s mega! Und ich hoffe, du lässt uns weiterhin ein bisschen teilhaben am neuen Leben : ) Ich drücke dir die Daumen, dass es so wird, dass es für euch alle passt!

  8. Wow, was für eine starke Entscheidung! Wie liefen Deine ersten Wochen? Ich finde es toll, dass Dein Mann jobtechnisch Abstriche macht, um Dir den Wiedereinstieg zu erleichtern.
    Mit fest gedrückten Daumen & lieben Grüßen
    Nina

    • Johanna Reply

      Liebe Nina, es lief insgesamt gut, war aber auch sehr sehr anstrengend. Ich merke doch, dass es einen großen unterschied macht, ob man nach dem dienst zuhause Möglichkeiten hat, erstmal runterzukommen oder ob da sofort wieder der Familien-Part wartet. Aber ab jetzt bin ich nur noch halb statt Vollzeit und schaue mir an, wie sich das entwickelt. Ganz liebe Grüße,
      Johann

  9. Respekt, dass Du dich getraut hast, diesen Weg zu gehen! Ich hoffe, Du hattest einen guten Start :) In den kommenden Wochen werde ich im UKE entbinden und freue mich, dass es da Personen wie dich gibt – die die Frauen unterstützen und nicht bevormunden wollen.

    • Johanna Reply

      Liebe Julita, wie schön, ich wünsch dir alles alles Gute für die letzten Wochen und die Geburt, ich bin “leider” jetzt erstmal im Urlaub, aber ich habe wirklich auch sehr nette Kolleginnen dort. Liebe Grüße, Johanna

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